Zwischen Tränengas und Gummigeschossen: als Demo-Sanitäter in Paris

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Seit Monaten herrscht am Wochenende in vielen Städten Frankreichs der Ausnahmezustand. Tausende von Menschen gehen als sogenannte Gelbwesten auf die Straßen, um gegen die Politik von Präsident Macron zu demonstrieren. Immer wieder kommt es zu teils heftigen Gewaltausbrüchen, die von Woche zu Woche schlimmer werden. Mitten drin im Geschehen ist auch der Deutsche Rettungsassistent Andy aus Baden-Würtemberg. Der 46-jährige ist Demo-Sanitäter und kümmert sich im Fall der Fälle um verletzte Demonstrationsteilnehmer. Schon seit vielen Jahren ist er auf verschiedensten Veranstaltungen unterwegs und hat so bereits vielen Menschen geholfen. Sowohl Demonstranten, als auch Polizisten versorgte Andy schon. Doch was er in den vergangenen Monaten und vor allem auch in jüngster Zeit in Paris erleben musste, das bereitet ihm große Sorgen. Vor allem die enorme Polizeigewalt scheint ein großes Problem zu sein. „Frauen werden geschlagen und über den Boden gezogen, es spielen sich menschenverachtende Dinge ab!“, so Andy in einem Interview gegenüber BLAULICHT-MAGAZIN. Was er bisher alles erleben musste, möchten wir euch in folgendem Beitrag schildern.

Andy ist 46 Jahre und fährt jedes Wochenende nach Frankreich, um Verletzte auf Demo-Veranstaltungen zu versorgen. Foto: Privat

Jeden Samstag reist Andy auf eigene Kosten nach Paris. Schon seit letztem November verbringt er so jedes Wochenende auf den Demonstrationen der Gelbwesten. Seine selbstgesetzte Aufgabe als ehrenamtlicher Demo-Sanitäter ist es, Verletzte so schnell es geht notzuversorgen und aus dem Gefahrenbereich zu bringen. Egal ob Polizist, Aktivist aus dem schwarzen Block oder ganz normaler Passant, Andy hilft jedem, der seine Hilfe benötigt. „Ich habe schon viele große Demos miterlebt, zum Beispiel den G20-Gipfel in Hamburg“, so der Rettungsassistent. „Doch was sich aktuell in Frankreich abspielt erinnert ganz stark an Bürgerkriegsähnliche Zustände“, meint Andy weiter. In seinen Erzählungen ist die Rede von Verletzten und sogar Toten. Laut dem Demo-Sanitäter sind bereits 14 Menschen während der Demos ums Leben gekommen, 6.000 Menschen wurden verletzt. Viele von ihnen so schwer, dass sie ihr Leben lang gezeichnet sein werden. Abgerissene Körperteile oder erblindete Menschen – vieles davon geht laut Andys Erzählungen auf die Gewalt der Polizei zurück.

„Jeden Samstag spürt man eine neue Gewaltsteigerung, sowohl von der Polizei als auch vom schwarzen Block“, schildert der Demo-Sanitäter seine Erlebnisse weiter im Interview mit BLAULICHT-MAGAZIN. Seiner Meinung nach werden die Gelbwesten für die Krawalle des schwarzen Blocks verantwortlich gemacht, obwohl sie damit rein gar nichts zu tun haben. Doch die Polizei greift immer härter durch und setzt dabei auch immer gefährlichere Waffen ein, um die Demonstrationen zu unterbinden. Die Rede ist nicht nur von Tränengas und Gummigeschossen. Sogenannte Flashballs sorgen für schwerste Verletzungen und auch verschiedene Granaten sorgen dafür, dass die Demo-Sanitäter immer öfter eingreifen müssen. Eine neue Dimension erreichte in den vergangenen Wochen der Einsatz von Tränengas. Andy berichtet von einem Rollpanzer, welcher ein Tränengas versprüht, welches schätzungsweise 200 Mal stärker ist, als das gewöhnliche. Menschen würden reihenweise zusammenbrechen, die Atemwege würden gelähmt werden. Hinzu kommen Reiterstaffeln und Polizeimotorräder, auf denen Beamte durch die Massen fahren und auf Demo-Teilnehmer einschlagen würden. Internetvideos zeigen die beschriebenen Szenen und lassen deutlich werden, welches Gewaltpotential in Paris vorherrscht.

„Wir sprechen hier von Kriegsverletzungen“, meint Demo-Sanitäter Andy mit ernster Stimme. „Wir können die Verletzten nur notdürftig versorgen und bringen sie dann so schnell wie möglich zum Rettungsdienst, der am Rande der Veranstaltungen übernimmt“. Denn es gibt durchaus Verletzungen, die keinen zeitlichen Aufschub dulden. Schwere Blutungen zum Beispiel, hier zählt jede Sekunde. In Teams von fünf bis acht Mann arbeiten die sogenannten Medics Hand in Hand. Dabei spiele es keine Rolle, ob Andy aus Deutschland komme. Im Gegenteil: Die Franzosen seien froh über die Hilfe. „Ihr habt uns eins gegeben: das ist die Hoffnung und die Menschlichkeit“, zitiert Andy einen französischen Kollegen. Ihm ist wichtig, dass auch die Menschen in Deutschland erfahren, was aktuell in Frankreich passiert. Hinter ihm steht deshalb ein Team, welches vor allem in Social-Media-Kanälen über die Arbeit des Demo-Sanitäters berichtet. Fotos, Postings und Live-Videos zeigen unzensiert, welche Szenen sich vor Ort abspielen. Der 46-jährige kritisiert jedoch, dass es auch eine große Menge Deutscher gibt, die völlig unvorbereitet nach Frankreich einreisen, um an den Demos teilzunehmen. Diese eventorientierten Demo-Touristen würden sich nur selbst in Gefahr bringen, einige von ihnen hat Andy bereits versorgen müssen.

Finanziert wird Andys Arbeit vor allem durch Spenden. Viel Geld bringt er auch privat auf, doch die Kosten für Sprit und Verbandsmaterial steigen jede Woche. Daher ist der Demo-Sanitäter auf weitere Hilfe angewiesen. Jede Menge Spender haben es in den letzten Wochen ermöglicht, dass zum Beispiel 500 Kilogramm an Verbandsmaterial, Tragetüchern und vielem mehr nach Frankreich gebracht und an die Paramedic-Teams verteilt werden konnte. Doch etwas, was noch dringend benötigt wird, sind Defibrilatoren. „Es gab bereits einen Zusammenbruch mitten im Demo-Geschehen, bei der eine Person ums Leben kam. Mit einem Defibrilator hätten wir vielleicht noch helfen können“, erzählt Andy abschließend. Er würde sich freuen, wenn sich weitere Unterstützer melden würden, um so einen Defi zu beschaffen.

Auch in den kommenden Wochen wird der Demo-Sanitäter aus Baden-Würtemberg wieder nach Paris reisen. Und leider wird er auch dann mit großer Wahrscheinlichkeit wieder jede Menge Verletzte versorgen müssen. Seien es Polizisten, Demo-Teilnehmer oder unbeteiligte Passanten. Denn eines ist Andy besonders wichtig: „Es geht hier um Menschlichkeit und um nichts anderes – denn diese ist in Frankreich verloren gegangen“.

Video: YouTube/TARANIS NEWS