Jeder von uns war einmal jung und hatte sicherlich den Drang, bestimmte Dinge auszuprobieren. Gerade wenn verschiedene Dinge von den Eltern verboten wurden, besteht für Kinder der Reiz darin, diese verbotenen Sachen einmal auszuprobieren. Viele Eltern werden Ihren Kindern gepredigt haben, dass alte und verlassene Gebäude tabu sind und ein Aufenthalt dort gefährlich sein kann.Doch solche verlockenden Gebäude und Grundstück existieren wie Sand am Meer. Ein für Übungen geeignetes Areal befindet sich in Görlitz auf dem Gelände der alten Schlachterei. Ein Großteil der Gebäude ist saniert, nicht einsturzgefährdert und sicher – hier finden Regelmäßig Partys im Nostromo statt. Abseits dieser Räumlichkeiten existieren vereinzelte alte, verfallende Gebäude. Gegenstände, wie Putz oder Sonstiges können unter Schwierigsten Umständen herabfallen. Durch die Dunkelheit sind Stolperfallen oder Hindernisse schwer erkennbar. Absolut kein sicherer Treffpunkt für Jugendliche und Kinder. Doch an den besprühten Wänden lässt sich leicht erkennen, dass hier sehr oft Jugendliche und Heranwachsende unterwegs sind. Mit der lauernden Gefahr im Hinterkopf entschieden sich die Feuerwehr, THW und Rettungsdienst in diesem Jahr eine Einsatzübung auf diesem Areal durchzuführen.
Ausgangspunkt des Szenarios war eine Gruppe von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, welche sich auf dem Gelände selbstständig auf Entdeckungstour machte, und nach einer scheinbaren Explosion oder ähnlichem nicht mehr aus den verzweigten Räumen des einsturzgefährdeten Gebäudes heraus kam. Diese Gruppe galt es zu finden. Jedoch war die für diese Aufgabe vorgesehene Feuerwehr zum Unfallzeitpunkt anderweitig bei einem Einsatz gebunden, sodass die Leitstelle Alarm beim THW Görlitz auslöste. Diese rückte mit voller Mannschaftsstärke an und begann einen Führungsstab aufzubauen, auf dem dunklen Areal für Licht zu sorgen und das einsturzgefährdete Haus zu sichern. Während der Aufbauarbeiten wurde festgestellt, dass die alte Schlachterei zum großen Teil unterkellert ist. Das Befahren des Innenhofs ist so nicht für die schweren Gerätschaften von THW und den nachrückenden Kräfte nicht möglich. So musste man mit Hilfe des Radladers alle wichtigen Gegenstände wie Lichtmastanhänger oder Holzbohlen, Keile und Stahlstützen rund 150 Meter ins Geländeinnere transportieren.
Nachdem diese Hürde gemeistert war und die Kräfte vom technischen Hilfswerk anfangen konnten, die am meisten einsturzgefährdeten Bereiche mit Stürzen zu sichern, stellten die Kameraden einen ungewöhnlichen, nicht definierbaren Geruch fest. Aufgrund des Gefährdungspotenzials der eigenen Mannschaft entschied sich der inzwischen eingesetzte Führungsstab nochmals in der Leitstelle nachzufragen, ob freie Kräfte der Feuerwehren nun verfügbar sind. Da dies der Fall war, wurden umgehend die Wehren der Freiwilligen Feuerwehr Görlitz-Stadtmitte und der Gemeindefeuerwehr Schöpstal an die Einsatzstelle gerufen. Um den Umfang der Übung nicht ins unermessliche zu treiben, wurden keine Spezialisten des ABC-Zuges zur Erkundung der nicht definierbaren Gerüche alarmiert. Nachdem die Kräfte, welche von der Übung nichts wussten, an der alten Schlachterei angekommen waren, galt es sinnvolle, schnelle und taktisch richtige Entscheidungen zur weiteren Abwicklung des Einsatzes zu treffen. Zuerst wurden sämtliche Mannschaftsstärken der Feuerwehren dem Führungsstab übermittelt. Zusammen entschied man sich, die Kräfte mit schwerem Atemschutz auszurüsten. In der Zwischenzeit machte sich ein Gruppenführer des THW, sowie die beiden Gruppenführer der freiwilligen Feuerwehren auf den Weg zum Eingang des betroffenen Gebäudekomplexes. Hier wurde vom THW deren Vorgehensweise und bisher erkundete Lage erläutert.
Man entschied sich vor Ort, die Kräfte der Feuerwehr mit schwerem Atemschutz zur Personensuche ins Gebäudeinnere zu schicken. Die Kräfte vom Technischen Hilfswerk kümmerten sich um die Abstützung, die Versorgung mit Licht am Einsatzort und die Beteiligung am Abtransport der später geretteten Verletzten an den Sammelplatz. Aufgrund der Großschadenslage wurde ebenfalls inzwischen die Schnelleinsatzgruppe SEG Görlitz an die Einsatzstelle alarmiert. Die Kameraden des Rettungsdienstes bauten unter einer sicheren, geschützen und vorhandenen Dachkonstruktion ihren Behandlungsplatz auf. Hier konnten die anschließend geretteten Kinder und Erwachsenen einer Erstversorgung unterzogen werden und im späteren Behandlungsverlauf in ein nahe gelegene Krankenhäuser abtransportiert werden. Unterdessen waren die Kameraden der Feuerwehr mit mehreren Trupps unter schwerem Atemschutz im Gebäude der alten Schlachterei unterwegs und durchsuchten die unzähligen Räume, Schächte und Boxen. Auch Toiletten und der Innenhof wurden durchsucht. Nach einiger Zeit gelang es den Kameraden der Feuerwehr die Verletzten zu finden. Anschließend wurde je nach Verletzungsgrad eine Reihenfolge festgelegt, in welcher die Verunglückten gerettet werden mussten. Aufgrund der Tatsache, dass wiederum zum Einsatzzeitpunkt keine weiteren Kräfte mit Atemschutzgeräteträgern nachalarmiert werden konnten und sich die eigenen Vorräte an Personen und Sachgegenstände langsam dem Ende neigten, musste hier vom Führungsstab angefangen, über die Gruppenführer bis zu den Atemschutzgeräteträger ein sinnvoller und vor allem sicherer und schneller Rettungsplan entwickelt und umgesetzt werden. Nachdem alle Verletzten aus dem Objekt gerettet wurden, konnten diese in Zusammenarbeit mit dem technischem Hilfswerk zum Behandlungsplatz in ungefähr 150 Metern Entfernung getragen werden. Hier übernahmen die Helfer des deutschen Roten Kreuzes die weitere Versorgung der Patienten. Schnell machte sich auch hier die Größe des Szenarios bemerkbar. Im Minutentakt brachten die Trupps neue Verletzte und durch den Zugführer des DRK wurde dem Führerungsstab mitgeteilt, dass ab dem jetzigem Zeitpunkt im Realfall alle Kapazitäten voll ausgeschöpft wären und eine Nachalarmierung erforderlich sei. Auch dies notierte man nur schriftlich – eine weitere Alarmierung löste man nicht aus.
Während die Kameraden der Feuerwehr an ihre Belastungsgrenzen während der Rettung kamen und auch der letzte Patient an die Helfer des deutschen roten Kreuzes übergeben war, konnte man sich kurzzeitig entspannen. Nach wenigen Minuten und mit einer Vielzahl an warnenden Atemschutzgeräten kam im Führungszentrum ein neuer Funkspruch der Leitstelle an. Diese hatte durch Anrufer einen Verkehrsunfall in unmittelbarer Näher zum jetzigem Standort gemeldet bekommen. Bei dem Verkehrsunfall sind zwei Fahrzeuge kollidiert. Ein Fahrzeug fing Feuer, in dem anderen wurden zwei Personen eingeklemmt. Aufgrund der schlechten Tageseinsatzbereitschaft wurde umgehend ein Folgeinsatz für die Kameraden der bereits eingesetzten Feuerwehren ausgelöst. Diese begannen schleunigst die nötigsten Sachen für den Einsatz im Fahrzeug zu verstauen, rüsteten sich mit den letzten Atemschutzgeräten aus und machten sich auf den Weg zur neuen Einsatzstelle. Unnötige Hilfsmittel wurden an der alten Einsatzstelle zurückgelassen. Sofort bei Ankunft leuchtete man die im Dunkeln liegende Einsatzstelle aus. Ein Trupp unter schwerem Atemschutz machte sich zur Brandbekämpfung mit Netzwasser auf. In Windeseile konnte der Fahrzeugbrand gelöscht werden. Parallel bauten die noch vorhandenen übrigen Kameraden alle nötigen Rettungsmittel zur Befreiung der eingeklemmten Personen vor und gaben eine erste Lage an den Führungsstab, sowie die Leitstelle weiter. Mit Schere und Spreizer entschloss man sich, dass inzwischen gesicherte Fahrzeug zu öffnen. Hierbei wurden Türen und das Dach entfernt, um so die verletzten Personen zu retten. Nachdem auch hier wieder vollste Konzentration, Kraft und Ausdauer nach der schon langen Übung gefordert waren konnte nach erfolgreichem Abtransport der Verletzten Personen die Übung beendet werden.
Allen eingesetzten Kräften stand nach diesem, eventuell für den ein oder anderen nicht glaubwürdigen aber dennoch möglichem und sehr gut organisiertem Einsatz der Schweiß auf der Stirn. Die Zusammenarbeit aller doch „fremden“ Hilfsorganisationen konnte deutlich verbessert werden. Den Einsatzkräften wurden ihre Grenzen gezeigt und Schwachstellen in jedem Bereich aufgedeckt. Unter den wachsamen Augen einiger Beobachter konnten auch sehr viele perfekt gelaufene Einsatzhandlungen notiert und vermerkt werden. Im Nachgang wird diese Übung nun mit Bild & Videomaterial ausgewertet. Herzlichen Dank muss man auch allen gespielten Opfern aussprechen. Mit vielen scheinbar echten Handlungen, Fragen und schauspielerischen Meisterleistungen konnten die Einsatzkräfte so realitätsnah wie nur möglich trainieren. Eine Übung, die wohl erst der Anfang kommender Aufgaben der Hilfsorganisationen sein wird. Die mangelhafte Tageseinsatzbereitschaft nimmt zu, der Mitgliedernachwuchs wird geringer und die Einsätze häufen sich. Wir bedanken uns bei allen Einsatzkräften, gespielten Opfern und dem Führungsstab für das entgegengebrachte Vertrauen. (RL | JL)